Drücke "Enter", um den Text zu überspringen.

NS-Täter John Demjanjuk aus der Haft entlassen

John Demjanjuk nach der Urteilsverkündung.  Foto: Robert AndreaschDas Landgericht München hat am Donnerstag, 12. Mai 2011, Iwan „John“ Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 28060 Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Vernichtungslager Sobibor zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Demjanjuks Rechtsanwalt Ulrich Busch kündigte Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof an. Nach der Urteilsbegründung wurde Demjanjuk aus der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim entlassen.

Der Tag der Urteilsverkündung

Journalist_innen und TV-Teams aus der ganzen Welt verfolgten den Abschluss des Prozesses gegen Iwan „John“ Demjanjuk vor dem Münchner Landgericht. Ein älterer extrem Rechter verteilte an sie Artikel, die er aus der neonazistischen Zeitschrift „Zuerst!“ kopiert hatte, draußen vor dem Gerichtsgebäude forderte ein hartknäckiger Pappschild-Träger stundenlang „Freiheit“ für Demjanjuk. Dessen Anwalt Ulrich Busch hatte noch gestern im Anschluss an die Plädoyers der Verteidigung 32 neue „Beweisanträge“ eingereicht, die zu Beginn der heutigen Verhandlung jedoch allesamt abgelehnt wurden.

Nach 93 Verhandlungstagen verkündete der Vorsitzende Richter Ralph Alt am Mittag dann das Urteil. Dafür ließ Alt den Angeklagten, der dem Prozess in den vergangenen eineinhalb Jahren meist ohne merkliche Anteilnahme in einem Bett liegend beiwohnte, im Rollstuhl vor die Richterbank schieben: „Einmal wenigstens sollte er dem Richter gegenübersitzen“. Die Tätigkeit Demjanjuks als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor von März bis September 1943 wertete das Gericht als Beihilfe zum Mord in 16 tatmehrheitlichen Fällen mit insgesamt über 28060 Opfern. Nach Überzeugung des Gerichts war Demjanjuk bei der Ankunft eines Transport polnischer Jüdinnen und Juden und beim Eintreffen von 15 Zügen mit aus dem niederländischen Lager Westerbork deportierten Jüdinnen und Juden „Teil der Mordmaschinerie“ in Sobibor. Die Kammer verhängte eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren.

Die „Trawniki“ im Vernichtungslager Sobibor

Von 1942 bis September 1943 wurden im nationalsozialistischen Vernichtungslager Sobibor ca. 250 000 Menschen ermordet. Die Massenvernichtung war Teil der „Aktion Reinhard“ unter dem Kommando von Otto Globocnik, dem SS- und Polizeiführer von Lublin. Mit Sondervollmachten Heinrich Himmlers ausgestattet, hatte dieser bis Juli 1942 drei fast baugleiche Vernichtungslager errichten lassen: Belzec, Treblinka und Sobibor. Die dort eingesetzten Mitglieder aus SS und Polizeieinheiten, die größtenteils schon im Rahmen der Euthansasie-Aktion „T4“ Erfahrung in der Ermordung von Menschen durch Vergasung gesammelt hatten, konnten jedoch nicht alle Arbeiten im Rahmen der Vernichtungsaktionen allein erledigen. Für das Zusammentreiben der Menschen in den Ghettos sowie die Bewachung der Transporte und Vernichtungslager wurde auf sogenannte „fremdvölkische Hilfsarbeiter“ zurückgegriffen.

John Demjanjuk war als kriegsgefangener Rotarmist für eine solche Diensttätigkeit angeworben worden und wurde im „Ausbildungslager“ bei Trawniki für seinen Einsatz im Rahmen der „Aktion Reinhard“ an der Waffe ausgebildet, sein Dienstausweis trug die Nummer 1393. Die Kammer verwahrte sich in der Urteilsbegründung gegen den von Demjanjuks Rechtsanwalt Ulrich Busch in seinem Plädoyer erhobenen Vorwurf, sie hätte sich nicht für die Lage der Kriegsgefangenen interessiert. Wer das sage, „leugne (…) die tagelange Vernehmung des Sachverständigen Dr. Pohl und die Einführung von ‚Trawniki‘-Aussagen und -Protokollen an 16 Verhandlungstagen im Februar und März 2010“.

Kam ein Transport deportierter Jüdinnen und Juden im Lager Sobibor an, waren es die „Trawniki“, die durch grausame Mißhandlungen und ihre Bewaffnung Fluchtversuche verhinderten und die Menschen mit Stöcken und Schusswaffen vom Bahnsteig zuerst ins „Lager 2“ und schlussendlich ins sogenannte „Lager 3“ trieben, wo schließlich jeweils ca. 80 Menschen in die Gaskammern gezwängt wurden. In die Kammern wurden die Abgase eines schweren Motors eingeleitet, was dann folgte, hatte ein medizinischer Sachverständiger im Prozess erläutert: Panik, Schmerzen, Atemnot, eine unvorstellbare Qual, bis nach 20 oder 30 Minuten Bewußtlosigkeit und Tod eintraten.

Die bewaffneten Trawniki bewachten dann jüdische Funktionshäftlinge, die, ihren eigenen Tod vor Augen, die Toten herausnehmen und zur Verbrennung bringen mussten. Andere Trawniki standen in Bereitschaft, um beispielsweise bei Aufständen im Lager eingreifen zu können. Schon allein angesichts des Feuerscheins der Verbrennung und des Geruchs über dem Lagergelände, so führt es die Urteilsbegründung des Landgerichts München aus, musste allen Trawniki die Massenvernichtung von Menschen bekannt gewesen sein.

Seiten: 1 2

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen